Was eine Sandburg und die Hagia Sofia gemeinsam haben

Was haben eine Sandburg und die Hagia Sofia gemeinsam?

Um diese Frage handelt eines meiner Kapitel in meinem neuen Buch „7 CONTINENTS – Mein Lauf um die Welt, zu den Menschen und zu mir selbst.

Bisher gab es das Buch ausschließlich und in limitierter Auflage im Rahmen der 7 CONTINENTS Box.

Ab Mittwoch, 17. März 2021 ist das Buch (und auch der 7 CONTINENTS Bildband) auch einzeln erhältlich.
Das Besondere: Die beiden Bücher sind zunächst ausschließlich über mich erhältlich (und nicht im Buchhandel).
Wer eine der beiden Bücher bis zum Ostersonntag (4. April 2021) bestellt, erhält eine persönliche Widmung und eine kleine Überraschung.

Okay, was also haben nun eine Sandburg und die Hagia Sofia gemeinsam? Bitte lies selbst…

Meine Mundwinkel wandern immer mehr Richtung Nasenhöhe. Freudestrahlend schaue ich hoch an den wolkenfreien Himmel, an dem die Sonne wie eine Königin thront. Dabei macht sich eine Gänsehaut auf meinem ganzen Körper breit. In mir ist es ganz warm. Es prickelt vom Kopf bis zur Fußspitze. Ich bin völlig losgelöst von allem und brauche nichts in diesem Moment. Meine Beine, meine Arme, meine Füße, mein Kopf − alles fühlt sich ganz leicht an. Ich stehe einfach nur da, direkt vor der Hagia Sofia in Istanbul. Mein Ziel der Europa-Etappe habe ich erreicht.

Ich bin angekommen und irgendwie doch nicht. Die grenzenlose Euphorie, die ich noch vor wenigen Minuten in mir gespürt habe, ist einem Gefühl der Schwermut gewichen. Die Endorphine verwandeln sich immer stärker in eine gewisse Leere. Was soll nun kommen? Mir wird schlagartig bewusst, dass ich am Ziel bin, dass es morgen nicht mehr weitergeht. Es ist wie auf einem Berggipfel, den wir erklommen haben. Oben angekommen, erkennen wir, dass es auf der anderen Seite nur noch bergab geht. Mit meiner Gefühlsachterbahn ging es in den folgenden Tagen nur noch nach unten.

Die Hagia Sophia erhält eine andere Bedeutung, wenn du zuvor bereits über 2.000 Kilometer Anreise per pedes hattest im Vergleich zu einem Pauschaltouristen, der mal eben geschwind mit dem Flugzeug nach Istanbul gekommen ist. In ein Flugzeug zu steigen oder mit dem Auto zu fahren, um ans Ziel zu gelangen, anstatt zu laufen, ist sinnlos, weil das Erlebnis belanglos wird, wenn der Weg schmerzfrei war. Eine Aussicht muss man sich verdienen. Nein, der Weg darf nicht so einfach, nicht so komfortabel sein.

Meine grundlegende Überzeugung ist, dass etwas zu erreichen nicht unbedingt den gleichen Wert hat wie das Erreichte. Wer nur bei schönem Wetter laufen geht und in seiner Wohnung bleibt, wenn es regnet, stürmt oder schneit, verpasst die Hälfte. Vielleicht sogar das Beste. Bekommt man etwas zu einfach, hält die Freude nicht lange an. Wenn ich die Europa-Etappe Revue passieren lasse, so stelle ich fest, dass mir genau die ungemütlichen, von Regen gezeichneten Tage, an denen es überhaupt nicht rund lief, nachhaltig in Erinnerung geblieben sind.

Was ich begriffen habe: Unterwegs zu sein, ist nahezu immer zufriedenstellender, als am Ziel anzukommen. Nicht an der Hagia Sofia, am Zielpunkt, liegt der Sinn, sondern hinter jedem meiner Abertausenden von Schritten davor. Wir wachsen nicht durch das Erreichen eines Ziels, sondern beim Gehen auf dem Weg dorthin. Nicht das eigentliche Ziel ist das Ziel. Nicht auf die Zielerreichung kommt es an. Der Weg ist das Ziel. Denn er führt nicht zum Glück, er ist das Glück.

Wer könnte diese Aussage besser unterstreichen als Kinder, die uns Erwachsenen in diesem Punkt weit voraus sind. An ein Erlebnis mit meiner Tochter kann ich mich noch sehr gut erinnern. Marla war vielleicht drei oder vier Jahre alt, als wir wieder einmal den Wasserspielplatz im Horbachpark in Ettlingen besuchten. Es war ein heißer Sommertag und die Temperaturen luden definitiv zu einer Erfrischung ein. Kaum hatten wir den Spielplatz erreicht, zog sich Marla sofort ihren Badeanzug an und fing an zu spielen. Zunächst schenkte ich dem Ganzen keine große Beachtung. Wenn ich zu ihr rüber schaute, saß Marla im Sand und war voll und ganz ins Spielen vertieft. Nach einer Weile rief sie voller Stolz: „Papa, Papa, schau mal, was ich da gebaut habe!“ Ich ging zu ihr rüber und erkannte nun, was sie da erschaffen hatte: eine riesengroße Sandburg. Mit vier Türmen, einem großzügigen Burggraben, durch den das Wasser lief und einer dicken Mauer, die um die Burg führte. Zufrieden saß sie im Sand und schaute mich mit strahlenden Augen an. „Wow, das hast du wunderbar gemacht, meine Große. Ich bin so stolz auf dich“, bewunderte ich ihr Werk. Die Sandburg war ihr mehr als gelungen. Als ich noch dabei war, die Details der Sandburg genauer zu betrachten und das Kunstwerk fotografisch festzuhalten, passierte das für mich Unfassbare. Marla stand auf, drehte sich zur Burg und machte sie mit ihren Füßen kaputt. Wie ein Bulldozer ging sie über ihr so aufwendig und liebevoll gestaltetes Werk hinweg. Keine zehn Sekunden später war von der Sandburg nichts mehr zu sehen.

Ich war sprachlos und verstand ihr Verhalten überhaupt nicht. „Was machst du da? Warum machst du die wunderschöne Sandburg kaputt?“, stieß ich hervor. Doch Marla ignorierte meine Fragen und war schon auf dem Weg zur Rutsche. Was ich als Erwachsener damals nicht verstanden habe: Meine Tochter war nicht am Ergebnis interessiert, sondern am Erlebnis. Der kreative Entstehungsprozess, das Bauen der Burg, hat sie erfüllt. Für sie lag die Freude im Tun selbst. In dem Moment, als die Burg fertig war, wurde das Spiel uninteressant. Wie oft fixieren wir uns in unserem Leben auf eine Sandburg? Und wie häufig erfreuen wir uns am Entstehungsprozess? Was mir meine Tochter an diesem Tag vor Augen geführt hat: Das Erlebnis gibt uns auf Dauer mehr als das Ergebnis.

Es ist erstaunlich, wie viele Erwachsene mich nach meiner Zielankunft in Istanbul nach dem Ergebnis gefragt haben. Wie viele Kilometer ich genau gelaufen sei, in welcher durchschnittlichen Geschwindigkeit ich unterwegs war, was das Ergebnis von den Antworten sei. Zahlen, Daten, Fakten. Alles muss messbar, quantifizierbar und belegbar sein. Wir Erwachsenen neigen dazu, den Erfolg eines Vorhabens nur nach klar messbaren Kriterien zu beurteilen. Als ich in Istanbul angekommen bin, bin ich ziemlich genau 2.300 Kilometer in 54 Tagen durch acht Länder gelaufen und habe über 5.000 Stimmen von jungen Menschen gesammelt. Doch was sagen diese Zahlen schon aus? Die wenigsten fragten mich, was ich genau von den jungen Menschen gelernt habe, welche Erkenntnisse ich gewonnen habe, welche Begegnung mich am meisten beeindruckt hat, wie sich der Himmel im Laufe der Tour verändert hat. Ich denke, manche Dinge im Leben lassen sich nicht in Zahlen, Daten, Fakten ausdrücken, sondern geschehen einfach auf dem Weg. Im Erleben. Im Tun.

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